Muri Darida

 

Jeanne hat mich portraitiert.

Cyan, Magenta, Gelb. Mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger hält sie den Pappteller mit den Klecksen und presst mit den restlichen Fingern einen Lumpen in die linke Faust. Ihr Blick taucht geräuschlos unter meine Züge, dann der Pinsel in den Teller, saugt beherzt das Blau aus meinen Augen auf die Leinwand. Deren Rücken zuckt mit jedem Strich, den ich nicht sehen kann. Wie einen schweren schwerelosen Schrank schiebt sie mein Gesicht auf die weiße Fläche, sie malt mich. Schau auf einen Punkt, den du dir merken kannst, hat sie gesagt. Na, oder schau mich an. Der Punkt, den ich mir merken kann, ist die vertikale Falte zwischen ihren Brauen. Die zieht sie zusammen, wenn sie fokussiert und reißt sie auseinander, wenn sie speichert. Das weiß sie nicht, aber ihre Stirnfalte pocht wie ein Organ, solange sie schaut.

Ihr linker Arm ist zu einem Dreick abgewinkelt, sie stößt ihn im Rhythmus des Pinselstrichs hinter sich und manchmal spreizt sie ihre dunkelrot bemalten Lippen auf und zeigt der Leinwand ihre kleinen Zähne. Hätte die Augen, sie würde einen Satz nach hinten machen, aber sie bleibt stehen und wippt mit ihrem Rücken. Ich verfolge ihre Falte und schaue sie somit immer an, egal, wohin sie guckt. Kannst du noch, fragt sie und gießt das alte Terpentinöl in einen Kanister und neues in das winzige Schälchen auf dem Stuhl. Sie weiß nicht, dass ich ihren Blick bekämpfe, meinen eigenen auf ihren hetze, sie dokumentiere, taxiere, meine Pupillen in ihrer Stirnfalte verbeiße mit tausend kleinen Widerhaken, die Hautlappen vernähe, zu Text verwebe und speichere um meinerseits die Linien auf eine weiße Fläche zu ziehen. Écriture, so heißt ihre Technik, so heißt meine.

Der Pinsel verstreicht das Blau zu Lila, streichelt Öl auf die Lippen, die’s nicht gibt, die angedeutet bleiben, zugekleistert bleiben von dem Werden der weißen Fläche, die schon immer dagewesen scheint, solange niemand diese Lippen aus dem Gesicht auf Leinen zieht. Was mit den Stellen passiert, die jemand sah, das weiß ich nicht, ob sie bleiben, ob sie gehen, ob sie brennen wie das rote Haus am Rosenthaler Platz im Gedächtnis der Malerin, die sie malte, ich will es, ich kann es, ich darf es nicht wissen. Es ist brutale Zärtlichkeit, sich anzuschauen, auszuschauen, wenn man sich liebt.

Das echte Rot ist dunkler als unser kulturelles Rot, das schon mit Gelb vermischt ist und das Blau, das wir auf den Fahrzeugkennzeichen der Autos auf der Straße sehen ist vermengt mit Rot. Sag bitte nichts dazu, bevor es fertig ist, sagt sie und weil sie diesen Text liest, bevor sie fertig ist, sage ich nichts dazu, weil es nichts zu sagen gibt, wenn sich Farben zuckend an die Leinwand haften, andere Augen die meinen ertasten, befühlen wie mit Zungen, um die Konsistenz des Lichts zu prüfen. Lila, Blau, ein unfertiges Gesicht wie eine bodenlose Galaxie, das alle anschaut, die sich ihm einmal zuwenden werden, ein durchkreuzter, verhakter, lauernder, unendlich ergebener Blick, entstanden aus ihrem und aus meinem und den katzenhaften Bewegungen ihrer Hand auf dieser sprach- und bodenlosen Wand.